DIE WAHRE GESCHICHTE DES GASTWIRTS

Durstlöscher und Wohltäter, Gegenpfaffe und alternativer Heilkundiger, Revoluzzer und Seelentröster - im Laufe der Zeiten bürdete sich der Gastwirt immer mehr gesellschaftlich bedeutsame Aufgaben auf, wie unsere Tour de Force durch drei Jahrtausende Gastronomiegeschichte beweist. Im Schneiderschen Landgasthof "Zum Alexanderbrunnen" in Pfaffenhofen findet dieser historische Prozeß seinen vorläufigen End- und Höhepunkt: der gastronomische Weltgeist kehrt bei sich selbst ein!

Welche Berufsgruppe hat sich die größten Verdienste um das (Zum-)Wohl der Menschheit erworben - die Politiker etwa, oder die Priester? Die Prostituierten gar? Kaufleute? Krieger? Oder die Fußballer bzw. die Fußpflegerinnen? Falsch bis abwegig: es sind die - Gastwirte! Zu allen Zeiten & in allen Kulturen ist der Gastwirt der Garant der Gastfreundschaft. Er ist der Bewahrer der Geselligkeit, der Schöpfer von Gemütlichkeit, der Apostel der Guten Laune. Die Besten der Branche kommen einem Gott selbst nahe - sie spenden aus ihren goldenen Zapfhähnen irdische Glückseligkeit. Die Ausnahmeerscheinung unter den gegenwärtigen Gastronomiegurus, der Pfaffenhöfer Prominentenwirt Leonhard Schneider feiert heute seinen 61. Geburtstag. Anlaß genug für den "Schneiderschen Lokalanzeiger" einen nicht unumstrittenen Schreibtischgelehrten, den Ethnologen Ulrich Schneider, zu beauftragen die wahre Kulturgeschichte des Gastwirtes zu schreiben: vom steinzeitlichen Metzapfer zum eminenten Wirtschafts-Führer a la Leonhard Schneider.

Das gastwirtschaftliche Gewerbe, ist das zweitälteste der Welt. Im Gegensatz zum ältesten Gewerbe der Welt ist sein Beitrag zur Zivilisierung und Kultivierung der Menschheit aber unbestritten. Der älteste Gastwirt in der Historie ist eine Frau. Im babylonischen Nationalepos aus der Zeit von etwa 2700 vor Christi Geburt wird eine Schenkdame namens Siduri erwähnt, die dem Helden Gilgamesch nicht nur einen aus Getreide, Wasser und Malz gebrauten Trunk kredenzt, sondern ihren melancholischen Gast auch lebenskluge Ratschläge und den neuesten Tratsch auftischt. Nachdem das letzte Seidel ausgetrunken ist, macht sich der Heroe, solcherart gestärkt, ans Werk, seine Feinde zu schlachten.Griechenland gilt als die Wiege der abendländischen Kultur. Dieses Urteil muß überdacht werden. Entweder mit der Kultur des Abendlandes ist es nicht so weit her oder die Griechen waren doch kein Kulturvolk. Denn bei den alten Griechen hatte der Garant der Trink- und Eßkultur, eben der Gastwirt, einen denkbar schlechten Ruf. Als Weinpantscher bezichtigte man ihn und das Gasthaus trug denselben Namen wie der Viehstall ("katagogeion"). Staatsbeamten war ein Besuch dieser Etablissements verboten.

Der berühmte Philosoph Sokrates brüstete sich gar damit, niemals in seinem Leben einen Fuß in ein "katagogeion" gesetzt zu haben. Er lieferte damit nur den Beweis, daß weltfremde Spinner wie er das Leben verpassen. Buchstäblich. Wer sich zu fein ist, im Wirtshaus den Maßkrug zu stemmen, muß sich nicht wundern, wenn er genötigt wird, statt dessen im Gefängnis den Schierlingsbecher zu leeren.

Und die Römer? Auch sie Barbaren! In der "Ewigen Stadt" wurden die Wirtsleute als prellsüchtige Halsabschneider verunglimpft. Unverständlicherweise, denn sie waren tatsächlich unentbehrlich im römischen Imperium. Beweis: Die Archäologen stießen bei der Ausgrabung des 79 n. Chr. von Lavamassen des Vesuvs verschütteten Stadt Pompeji auf die Überreste von nicht weniger als 119 Tavernen. Pompeji zählte zum Zeitpunkt seines bemerkenswerten Untergangs gerade mal 20.000 Einwohner!

Bis ins finsterste Mittelalter läßt sich die bis heute gültige Haßliebe des Klerus zum Gastwirt verfolgen. Es ist eine Geschichte der Konkurrenz und des Neides. Die Kardinalsfrage: Wer hat den besseren Trost zu spenden, welches Wässerchen ist geistreicher: das Weihwasser oder das Zwetschgenwasser? Und doch ist es auch eine Geschichte der klammheimlichen Zusammenarbeit. Von wem wohl bezog der Pfaffe das Blut Jesu fürs Abendmahl? Und hätte sich jener umsatzstarke Frühschoppen etabliert, wären die Gläubigen nicht immer so ausgedurstet aus den staubtrockenen Andachten getorkelt?

Die Kirche machte einen frühen Versuch das Wirtschafswesen auszutrocknen. Sie richtete in den Klöstern sogenannte Xenodochien ein. Entsprechend der christlichen Dogmas der Nächstenliebe wurden Gäste dort umsonst bewirtet! Freibier als klerikale Panzerfaust; im Visier die heidnischen Gasthäuser entlang der Handelsrouten.

Daß Freibier "der Anfang vom Ende einer jeden Wirtschaft" ist, wie es der weise Pfaffenhöfer Gastwirt Leonhard Schneider vor kurzem auf eine prägnante Formel brachte, diese gastronomische Grunderfahrung mußten dann auch die kirchlichen Klosterwirte machen.

Den Pleitegeier vor Augen, wogen sie schon bald, christlichen Nächstenliebe hin oder her, ihren Gerstensaft gegen schnöden Mammon auf wie ein Chronist jener Zeit seufzend notiert. "An etlichen clöstern da hant sy nun tafernen in die gastheuser gemacht und schenckent wein umb das, das sy nit umsunst hingeben. was von zeiten durch gott beschehen ist, das ist nun alls umb das gelt".

Die Wirte begegneten dieser klerikalen Kriegserklärung mit überlegenem Humor. So zierte sich etwa eine britische Wirtschaft "Guten Appetit mit einem Wirtshausschild, auf dem das abgeschlagene Haupt Johannes des Täufers serviert wird. Bis ins Spätmittelalter war der Betrieb eines Gasthauses fast immer ein Zweit- oder Drittberuf. Man war also Nebenerwerbsgastwirt.Zu Beginn der Neuzeit erlebte der Berufsstand des Gastwirts dann einen kometenhaften gesellschaftlichen Aufstieg. Es hat den Anschein, als ob von diesem Zeitpunkt an die fähigsten Köpfe eines Volkes dieser Berufung zum Gastgewerbe folgten. Von wegen "Wer nichts wird, wird Wirt"! Der Beitrag der Gastwirte zum Bruttosozialprodukt und zum geistigen Wohlstand einer Nation kann seitdem nicht mehr in nackten Zahlen angegeben werden.

Seit dem Ausklingen des Mittelalters ist der Gastwirt auch Heiler, Speerspitze der Demokratie und humanistischer Psychologe.

Nicht etwa den quacksalbernten Medizinern verdankten die Menschen damals ihre relative Gesundheit. Es waren die Wirtsleute, die den Leibern ihrer Gäste in jenen seuchenreichen Tagen die notwendigen Abwehrkräfte verschafften. Die spirituellen Getränke wurden besonders prozenthaltig zum Ausschank gebracht in der nicht unbegründeten Hoffnung, der mildtätige Geist des Alkohols möge die Seuchenherde ausrotten. Die Gastwirte wandelten sich zu alternativen Heilkundigen. Sie scheuten keine Kosten, was Keller und Küche zu bieten hatte, mit exotischen Gewürzen und raren Kräutern zu verfeinern. Mit Pfeffer, Muskat, Nelken, Ingwer versuchten die Wirte die Abwehrkräfte ihrer Gäste gegen Pest, Cholera und Syphilis zu stärken.

Bornierte Historiker behaupten, diese wäre lediglich deshalb erfolgt, um den Gestank der verdorbenen Fleischspeisen zu überspielen. Eine an den Haaren herbeigezogene These! Vielmehr war es die historische Leistung der Gastwirts diese Kücheningredenzien der Herrscherhöfe dem Volk zugänglich gemacht zu haben.

Nicht nur in diesem Fall haben sich die Wirte als Speerspitze der Demokratie ausgezeichnet. Ihnen ist es gleichsam in die Wiege gelegt, Sendboten einer besseren Gesellschaft zu sein. Sie beherbergen Männlein wie Weiblein, bedienen Alt und Jung. An ihren Tafeln treffen sich fröhlich die Vertreter aller Herren Länder. Und sie halten den Stammtisch frei, an dem so bierselig wie großspurig die Revolutionen geplant werden.

In unseren postmodernen, kalten Zeiten ist der Gastwirt seine Gäste wie niemals zuvor Seelentröster und Animateur. Die Wirtsstube ist Familienersatz und Ort des Anbandelns. Auch Fenster zur Welt. Der Wirtshaustisch oft Psychocouch, Beichtstuhl ohne Klappen und Weltverbesserer-Kanzel.

Wie kein anderer bündelt der Pfaffenhöfer Wirt die guten Traditionen und die modernen Errungenschaften der Gastronomie.

Unübertroffene Meisterschaft in den Grundkünsten des Kochens und des Zapfens paart sich in seiner Wirtschaft mit humanistischen Qualitäten und rationalistischem Management, was zu einem weltweit einmaligen Preis/Leistungsverhältnis führt.

Beispielhaft auch die Schneidersche Innovationsfreude. Jüngster Coup: in der karpfenlosen Zeit wird Schneider eine neue Fisch-Spezialität servieren: Fugu, den delikaten japanischen Kugelfisch.

Dessen Innereien enthalten eine hochgiftige Substanz, die 300 mal stärker wirkt als Zyankali. Werden die Innereien nicht sorgfältigst vom Filet getrennt, kommt man mit dem Leben nicht davon.. Schon die kleinste Dosis erzeugt Atemstillstand. Vom Kugelfisch-Filetierer wird ein geradezu chirurgisches Können verlangt.

Von der japanischen Sitte, daß der Wirt bei diesem 'japanischen Roulett' mit Harakiri für das Leben seines Gastes einsteht, davon will der Pfaffenhöfer Großgastronom allerdings nichts wissen. Schneider: "So weit wird's kumma, daß der Schneider noch die Noachmacher noachmacht!"



(Quelle: Schneiderscher Lokalanzeiger vom 29.08.1996)


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